Jasmina Stahl: Goldenes Übergangsjahr im Zeichen der Tempohärte
  27.05.2022 •     Verband , Leistungssport , Jugend


Jasmina Stahl plant langfristig. 2022 finden in der U23 keine internationalen Großveranstaltungen statt, 2023 folgt die U23-EM in Finnland. Dort möchte die 20-Jährige unbedingt dabei sein. Ob 5.000 Meter oder 10.000 Meter – sie hat die Qual Wahl. "Es wird in jedem Fall sehr schwer, sich zu qualifizieren", prophezeit sie, "denn wir haben so viele gute Mädels. Da ist die Konkurrenz bärenstark". Mit ihrem ersten DM-Gold konnte sie zuletzt in Pliezhausen Selbstvertrauen tanken.

uh – dlv. In Pliezhausen, Schauplatz der Langstrecken-DM, spielten beide die Hauptrolle bei den U23-Juniorinnen: Jasmina Stahl (Hannover 96) und Linn Lara Kleine (LG Olympia Dortmund) waren ausgerissen und ihren Verfolgerinnen weit enteilt. Wie ein Uhrwerk spulten sie Runde und Runde herunter. Wer von ihnen würde das Rennen machen? Einige tippten auf Stahl, andere auf Kleine.

Auf den letzten tausend Metern löste Jasmina Stahl die knifflige Frage auf schmerzhafte Weise. Mit einer Tempospritze zog sie  ihrer Wegbegleiterin den Nerv. Linn Lara Kleine fing an zu knautschen und musste abreißen lassen. Jasmina Stahl dominierte in 34:11,12 Minuten und war deutlich schneller als noch Ende Oktober in Uelzen, wo sie bei den Deutschen Straßenlaufmeisterschaften in 34:34 Minuten Vierte der U20 geworden war.

Die Arme in die Höhe gereckt, sauste sie durchs Ziel, hockte sich Sekunden später auf den roten Kunststoffbelag und lehnte sich mit ihrem Rücken an die Bande. Jasmina Stahl war geschafft, aber mit sich und der Welt zufrieden! „Na klar wollte ich gewinnen“, ließ die souveräne Siegerin verlauten und schnappte nach Luft, „das war mein Plan“. Mit Linn Lara Kleine, Zweite in 34:32:22 Minuten, hatte sie im Vorhinein vereinbart, dass sie gemeinsam für eine flotte Fahrt sorgen sollten. „Das hat ja dann auch prima geklappt.“ Abgeschlagen war das übrige Feld.

Trainerin = Staffel-Kollegin

Jasmina Stahl, die am 30. Januar ihren 20. Geburtstag feierte, hat von Haus aus eine gehörige Portion Ausdauer. Früher war sie Langstrecken-Schwimmerin, ehe 2017 der Wechsel zur Leichtathletik erfolgte. 2019 übernahm Julia Grommisch ihr Training. Grommisch? Da war doch was! Richtig getippt: Sie ist die Tochter von Werner Grommisch, einst Deutscher Meister und später DLV-Bundestrainer im Nachwuchsbereich. Dieser war extra aus dem Ruhrgebiet nach Pliezhausen gereist. Mit seinem langjährigen Kumpel Detlef Uhlemann, 1976 Olympionike in Montreal, 1977 Dritter der Crosslauf-WM und viermal Titelträger über 10.000 Meter, verfolgte er mit Argus-Augen die Wettkämpfe in Pliezhausen.

Tochter Julia, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum für Hochschulsport Hannover und selbst eine versierte Mittelstrecklerin, wurde das Laufen gewissermaßen in die Wiege gelegt – und ist immer noch auf hohem Niveau aktiv. Mit Jasmina Stahl und Luca Beermann hatte sie eine Woche zuvor bei den offenen Kreismeisterschaften in Braunschweig über 3x800 Meter in 7:12,92 Minuten die Norm (7:16 min) für die Deutschen Staffelmeisterschaften am 29. Mai in Mainz geknackt, wo das Trio von Hannover 96 mitmischen wird.

"Jasmina ist eine Läuferin in der aus meiner Sicht noch viel Potenzial steckt, vor allem für die Langstrecke", sagt die Trainerin über ihre Athletin. "Ihre Stärke ist definitiv ihre Ausdauer, die sie zum Teil bereits im Schwimmen entwickelt hat. Dazu kommt ihr Ehrgeiz besser zu werden, dabei aber gleichzeitig auch in sich reinhören und sich somit gut im Training gut einschätzen zu können."

Fokus 2022 auf den Unterdistanzen

Nach dem Titelgewinn in Pliezhausen will Jasmina Stahl vor allem an ihrer Tempohärte feilen. „Der Fokus“, kündigt sie an, „liegt in diesem Sommer auf den Unterdistanzen“. Da wird sie versuchen, ihre Bestzeiten über 800 Meter (2:20,21 min), 1.500 Meter (4:30,66 min) und 3.000 Meter (9:24,13 min) zu steigern, was ihr dann auch über 5.000 Meter (16:20,13 min) zugutekommen wird. „Meine schönsten Erfolge waren bisher die Goldmedaille bei der Crosslauf-EM in Dublin mit dem U20-Team und Platz fünf bei der U20-EM in Tallinn über 5.000 m in 16:36,17 Minuten“, blickt Stahl zurück, „mal abwarten, was mir diese Saison bringen wird."

Mit der Cross-EM in Turin (Italien; 11. Dezember) liegt der nächste angestrebte internationale Einsatz erst am Ende des Jahres. Für das große Ziel U23-EM 2023 absolviert Jasmina Stahl bereits jetzt sieben bis neun Einheiten die Woche. „An einem Tag mache ich Alternativtraining“, erzählt sie, „Schwimmen oder Radfahren.“ Mit der Rennmaschine auf der Straße? „Nein, nein“, wehrt sie ab, „viel zu gefährlich! Ich habe zu Hause ein Spinningrad.“ Daheim sitzt sie dann im Sattel, tritt energisch in die Pedalen und sammelt Kilometer.

„Ich wohne noch bei meiner Mama und meiner Schwester mitten in Hannover.“ Nele, drei Jahre jünger, ist auch eine talentierte Leichtathletin. „Sie ist aber keine Läuferin, ihre Lieblingsdisziplinen sind Kugel und Diskus.“ Nele Stahl startet für den Verein Rukeli Trollmann Isernhagen, dem bis zum vergangenen Jahr auch Lara Siemer, Achte der letztjährigen U20-EM im Siebenkampf, angehörte.

Sport und Studium im Einklang

Die Stahl-Sisters sind ehrgeizige Typen. Nicht nur im Sport, sondern auch in der Schule. Jasmina hat 2021 das Abitur an der IGS Roderbruch erworben, eine Integrierte Gesamtschule in Hannover. Hier wird auch Nele ihres bauen. „Ich wollte danach irgendwas in Richtung Naturwissenschaften machen“, berichtet die Ältere der Stahls, „und studiere jetzt Chemie.“ An der Gottfried Wilhelm Leibnitz Universität Hannover ist sie im zweiten Semester eingeschrieben. „Die Uni liegt mitten in der City. Mit dem Rad sind es ungefähr fünfzehn Minuten, wobei ich viel an den Ampeln warten muss.“ Bis zum Bachelor bleiben vier weitere Semester.

Die sportlichen Ambitionen kann sie mit ihrem Chemie-Studium problemlos kombinieren. Jasmina Stahl bekommt beides scheinbar mühelos auf die Reihe. „Meine Trainerin fragt mich auch regelmäßig, wie der Stress-Level an der Uni ist“, betont sie, „Julia ist in dieser Hinsicht sehr rücksichtsvoll. Mit ihr kann ich über alles reden. Sie schaut genau hin, wie es mir gerade geht, und achtet auf die menschliche Komponente.“ Mit Julia Grommisch, Jahrgang 1990, sendet Stahl auf einer Wellenlänge. Sie sehen sich ständig. „Wir trainieren meistens am Olympiastützpunkt Niedersachsen.“ Im Sportleistungszentrum Hannover, Ferdinand-Wilhelm-Fricke-Weg 2a, hat sie alles, was eine Hochleistungssportlerin benötigt: das Erika-Fisch-Stadion mit Tartanbahn, eine moderne Leichtathletik-Halle und vier Krafträume. Da ist sie optimal versorgt.

Am liebsten trainiert sie jedoch in der Eilenriede, mit 640 Hektar einer der bedeutendsten Stadtwälder in Europa. Julia Grommisch ist häufig ihre Wegbegleiterin. „Entweder läuft sie mit oder fährt mit dem Rad nebenher“, denkt Jasmina Stahl an die gemeinsamen Touren im Schatten der hohen Bäume, „bei den Kerneinheiten ist Julia stets vor Ort“. Bisweilenl trabt sie auch allein durch das ruhige Naherholungsgebiet und lässt die Seele baumeln. „Mitten in der Natur“, bemerkt sie leise, „kann man wunderbar abschalten.“ Das ist wichtig bei ihrer Doppelbelastung mit Sport und Studium.


Jasmina Stahl: Goldenes Übergangsjahr im Zeichen der Tempohärte